Was ist hier passiert? Wer ist dafür verantwortlich? Warum schädigt jemand überhaupt augenscheinlich gesunde Bäume? Und wieso sind nur Bäume einer bestimmten Art davon betroffen, während andere Baumarten verschont geblieben sind?

Beobachtungen aus der Landschaft vom 16.03.2021
Die sonntägige Laufrunde durch die heimische Haldenlandschaft führte mich Anfang März vorbei an der Pluto- und der Thyssenhalde mitten durch das NSG Berghalde Pluto-Wilhelm, wo ich eine auf den ersten Blick erschreckende Beobachtung gemacht habe. So musste ich feststellen, dass sämtliche Bäume im unteren Hangbereich der Thyssenhalde, genau in dem Bereich wo vor einigen Monaten die Ausbesserungsarbeiten am Wegesystem durchgeführt wurden, an ihren Stämmen massive Beschädigungen aufwiesen. Die Verursacher wussten anscheinend genau, was zu tun ist, um den Bäumen maximal zu schaden. Denn im Rahmen einer früheren Recherche zu mechanisch verursachten Baumschäden – in dem damaligen Bericht ging es um die Schäden an einem Baum, der sich im Einfahrtsbereich einer der zahlreichen Baustellen zur Kanalisierung des Hüller Bachs befindet und der augenscheinlich mit einem Baustellenfahrzeug kollidiert war – hatte ich gelesen, dass kleinere Beschädigungen der Rinde für einen gesunden Baum kein allzu großes Problem darstellen.
Da der Baum mit der Produktion von Harz über einen Abwehrmechanismus verfügt, mit dem er Wunden zum Schutz vor Bakterien und Pilzen zeitnah verschließen kann. Das hinter der schützenden Borke liegende Leitungsband – das Kambium, welches für die Versorgung des Baums mit Wasser und Nährstoffen verantwortlich ist, erleidet in seiner Funktion dadurch keinerlei Einschränkungen. Würde dahingegen das komplette Kambium durchtrennt worden sein, wäre es dem Baum fortan nicht mehr möglich gewesen, die oberen Bereiche mit dem Nötigsten zu versorgen, was früher oder später zum Absterben des Baumes geführt hätte. Dieser Logik folgend, sind die an den Haldenbäumen beobachteten Schäden als irreparable einzustufen, da das Kambium ringsum den Stamm zerstört wurde!
Welche Baumarten sind von den Beschädigungen betroffen?
Auf den ersten Blick scheint es so, als seien ausschließlich Robinien durch Einkerbungen des Stammes gefrevelt worden. Die Gewöhnliche Robinie, die auch als Falsche Akazie bekannt ist, wird zur Gruppe der invasiven Neophyten gezählt. Der Begriff Neophyt beschreibt eine gebietsfremde Pflanzenart, die bis zur Entdeckung Amerikas durch Kolumbus in Europa nicht natürlich vorgekommen ist, und durch den Menschen entweder bewusst eingeführt oder zufällig eingeschleppt wurde. Der Begriff ist grundsätzlich wertneutral zu verstehen und bedeutet lediglich „neue Pflanze“. Invasiv weist der „neuen Pflanze“ dahingegen die Eigenschaft zu, dass sich der Neophyt aufgrund seiner Anwesenheit nachteilig auf die heimische Flora und Fauna auswirkt. Die Einstufung des Baumes als „invasiver Neophyt“ könnte somit also ein Erklärungsansatz sein, weshalb in dem Bereich des Naturschutzgebietes gezielt und ausschließlich Vertreter dieser Baumart betroffen sind, andere Baumarten wie beispielsweise Weiden aber verschont geblieben sind.

Woran zeigen sich Dominanz und Invasivität der Robinie?
Im Vergleich zu anderen Pflanzen kommt die Robinie mit den mageren und trockenen Bedingungen am Standort viel besser zu Recht als die meisten heimischen Pflanzenarten, was mit der Zeit zu einer Reduktion der Artenvielfalt in ihrem Umfeld führt. Die Dominanz der Robinie gegenüber heimischen Pflanzenarten wirkt sich somit negativen auf das ökologische Gleichgewicht aus und führt zur Verdrängung heimischer Pflanzenarten. Die heimischen trockenliebenden Pflanzenarten zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie relativ langsam wachsen und sich an diesen Mangelzustand, was Feuchtigkeit, Schatten und Nährstoffe betrifft, über einen langen evolutionären Zeitraum angepasst haben. Durch die jahrtausendedauernde Standortanpassung haben sie sich auf die dortigen Bedingungen spezialisiert. Der Wettbewerb um diese ökologische Nische, die der trockene und nährstoffarme Standorte bietet, erhält durch die vom Menschen eingeschleppte Robinie einen dominanten Mitstreiter, dem die heimische Flora nicht gewachsen ist und durch dessen Anwesenheit sie nachhaltig verändert wird.
Wer hat die Maßnahme durchführen lassen und vor allem warum?
Die beiden Fragen, die sich mir zeitnah aufdrängten, lauteten: Wer ist für die Beschädigungen verantwortlich und welchen Sinn kann eine solche Maßnahme haben, denn die Rauschtat eines Bibers ist wohl eher auszuschließen. Eine Nacht und Nebelaktion irgendwelcher Naturfrevler scheint mir aber auch nicht plausibel zu sein, denn wen könnten Bäume auf einer öffentlichen Halde in dem Maße stören, dass er sich zu solch einer Tat motiviert fühlt? Nach näherer Inspektion des Bereiches sprachen mehrere Indizien dafür, dass hier niemand willkürlich wie die Axt im Walde gewütet hat, sondern systematisch und bewusst gehandelt hat. Zudem zeigten einige der Bäume frische Spuren eines „normalen“ Baumrückschnitts und auf dem Haldenboden befand sich zudem frisch gehäckselter Baumschnitt. Die Gleichmäßigkeit der Beschädigungen und die professionelle Gründlichkeit deuten darauf hin, dass die Beschädigungen beabsichtigt herbeigeführt und wohl von offizieller Stelle umgesetzt wurden – möglicherweise im Rahmen der regelmäßig zu erfolgenden Landschaftspflege?!
Stochern im Nebel – das Warum erklärt sich mir nicht…
Der biologische bzw. forstwirtschaftliche Mehrwert dieser Aktion wollte sich mir nicht erklären. Klar war mir dahingegen, dass im Gegensatz zu einer Fällung und der Entnahme des Baummaterials der Baum auf dieser Weise weiterhin Bestandteil der Landschaft bleibt und dadurch früher oder später für Flora und Fauna wieder nutzbar ist respektive sein wird, da Insekten, Vögel, Pilze und Flechten ihren ökologischen Aufgaben nachkommen werden, die Bäume in ihre Bestandteile zerlegen und so die Nährstoffe dem natürlichen Stoffkreislauf wieder zuführen werden.
Steigerung der Klimaresistenz? Oder doch eine Notmaßnahme?
Möglicherweise handelt es sich auch um eine Maßnahme zum Schutz der Halde, weil zu große Bäume ein zu hohes Schadenspotential auf das Erdreich am Haldenhang haben könnten, durch sturmbedingte Entwurzlungen große Löcher gerissen werden würden, die tieferliegende Bodenschichten nach oben holen und dabei möglicherweise das Drainagesystem der Halde zerstören könnten. Denkbar wäre auch eine Maßnahme zur Steigerung der Klimaresilienz?! Vielleicht hat man auch auf diese Maßnahme notgedrungen zurückgreifen müssen, weil der Zeitraum für legale Fällungen abgelaufen ist. Schließlich besteht laut Bundesnaturschutzgesetz für bestimmte Gehölze im Zeitraum vom 1. März bis 30. September ein zeitlich befristetes Fäll- und Beseitigungsverbot, was in erster Linie dem Schutz brütender Vögel dienen soll, aber hierdurch umgangen werden konnte.
Suchen will gelernt sein, aber dann ist Dr. Google nahezu allwissend
Trotz einiger spekulativer Erklärungsversuche stand schnell fest, dass ich zur endgültigen Abklärung meiner Fragen Professor Doktor Google konsultieren muss. Die Recherche im Internet führt relativ schnell zu der Erkenntnis, dass es sich bei den an der Thyssenhalde beobachteten Gehölzarbeiten, um das Ergebnis sogenannter Ringelungen gehandelt hat, und dass das Hauptziel dieser Maßnahme die Eindämmung des unkontrollierten Expansionsbestrebens der invasiven Robinie und somit der Schutz des Biotops ist.
Neben den Vorteilen einer effektiven Nutzung limitierter Ressourcen am mager-trockenen Standort verfügt die Robinie über weitere Strategien und Eigenschaften, die ihre Dominanz gegenüber den ursprünglichen Pflanzenarten des Mangelbiotops verstärkt und darüber hinaus die Bedingungen des Biotops nachhaltig verändern.
Die Robinie betreibt „botanisches Terraforming“
Eine dieser Erfolgsstrategien der Robinie ist die sogenannte Selbstdüngung mittels Luftsauerstoff und Knöllchenbakterien, womit sich das erheblich beschleunigte Wachstum im Vergleich zu heimischen Pflanzen erklären lässt. Neben dem Vorteil des forcierten Wachstums führt die Stickstoffanreicherung im Boden aber auch zu einer nachhaltigen Veränderung der Biotopbedingungen mit der Folge, dass sich die typische Magerrasen-Vegetation auch zukünftig nicht wieder an dem Standort rekultivieren kann.

Die Gewöhnliche Robinie – die Hydra unter den Bäumen
Zu den Eigenschaften und Strategien, die die Robinie besonders wehrhaft und widerstandsfähig machen, zählen ihre Fähigkeiten zur Reproduktion. Die Vermehrung der Robinie erfolgt sowohl generativ über Samen, die sie in großen Mengen produziert, als auch vegetativ über Stockaustrieb und der Ausbildung von Wurzelläufern. Aufgrund dieser beiden Fähigkeiten bleibt die einfache Fällung zur Beseitigung einer Robinie ohne Erfolg – bewirkt sogar gegenteiligen Effekt, da sie zur weiteren Verdichtung der Bestände führt.
Ringelung: Systematische Baumbeschädigungen als ein probates Werkzeug eines nachhaltigen Biotopschutzes
Aus den genannten Gründen ist bei der Bekämpfung von Robinien im Rahmen des Naturschutzes die sogenannte Ringelung das Mittel der Wahl. Durch das Durchtrennen des Kambiums stirbt die Robinie im Laufe der Zeit ab, reagiert auf die Beschädigungen aber nicht mit einer vermehrten Ausbildung von Wurzelläufern oder Stockausschlag. Die Ringelung führt innerhalb von 1 bis 2 Jahren zum Absterben des Baums. Positiver Nebeneffekt dieser Methode ist die Entstehung von Totholz, das für Pilze, Insekten und auch für Vögel eine neue Lebensgrundlage darstellt.
Direkte Fällungen führen bei der Bekämpfung von Robinien nicht zum gewünschten Erfolg – Ringelungen sind dahingegen das Mittel der Wahl für eine Beseitigung ohne Herbizideinsatz und mit biologischem Mehrwert
Eine Ringelung kommt also immer dann zum Einsatz, wenn es gilt gefährdete Biotoptypen zu schützen und im speziellen Fall der Robinie lässt sich damit gleichzeitig das durch die Stickstoffanreicherung im Boden verursachte und nachhaltige „Terraforming“ stoppen. Auch wenn die Maßnahme auf dem ersten Blick für den Laien ziemlich befremdlich wirkt, da der Naturschutzgedanke nicht offensichtlich zu erkennen ist, kann die Ringelung als ein probates und schonendes Werkzeug zum Schutz der heimischen Flora und Fauna vor invasive Arten angesehen werden – vor allem vor dem Hintergrund, dass auf ein Einsatz von Herbiziden verzichtet werden kann.