Beobachtung aus der Landschaft vom 22. Juni 2021
Wieso, weshalb und wie es überhaupt zu dem nachfolgenden Beitrag gekommen ist, erfährst du im ersten Teil dieses kleinen Zweiteilers aus dem Themenbereich der praktischen Bienenkunde.
Als ich am LSG Königsgrube bei Imker Kessen ankomme, erblicke ich direkt drei Herren, die durch den Vorgarten des Hauses gehen und so wie es scheint, miteinander über die Botanik fachsimpeln. Dem äußeren Anschein nach handelt es sich neben Imker Kessen zumindest bei einem weiteren Herrn ebenfalls um einen Imker. Als Imker verrät ihn der Strohhut, den er auf dem Kopf trägt. Nachdem ich den drei Herren meine landschaftliche Beobachtung geschildert hatte, signalisierten zwei Interesse und waren bereit, sich die Örtlichkeit und den Schwarm zunächst aus der Nähe anzugucken, um dann vor Ort zu entscheiden, inwieweit ein Einfangen überhaupt zu realisieren ist und ob die Bienen tatsächlich noch am Baum verweilen. Es wäre nämlich theoretisch auch denkbar gewesen, dass sich die Bienen zwar am Baum abgesetzt haben, die Späherbienen in der Zwischenzeit aber schon eine passende Behausung – einen hohlen Baum oder einen künstlichen Hohlraum gefunden haben und das Bienenvolk deshalb wieder aufgebrochen ist.

Anfahrt und Vorbereitung zum Schwarmfang
Von Imker Kessen zum Ort der Beobachtung am Kabeisemannsweg in Bochum-Hordel sind es knapp drei Kilometer. Als wir dort ankommen, hängen die Bienen zur allgemeinen Erleichterung weiterhin fernab jeglicher Zivilisation in einer Höhe von rund fünf Metern im Buchenbaum. Nach kurzer Beratung über das weitere Vorgehen steht fest, dass der wilde Bienenschwarm eingefangen werden soll. Das zum Einfangen des Bienenschwarms benötigte Material musste zu dem Zeitpunkt allerdings erst noch geholt werden. Während ich im Schatten des Baumes die Stellung hielt, machten sich die beiden auf den Weg, das Material zu holen. Keine halbe Stunde später waren sie zurück und die Lektion Schwarmfang in der Praxis konnte beginnen.
Methoden und Material zum Schwarmfang:
Ich erfahre, dass es grundsätzlich mehrere Möglichkeiten gibt, ein geschwärmtes Bienenvolk einzufangen und je nachdem welche Methode angewendet werden soll, unterschiedliches Material zum Einsatz kommt. Letztendlich entscheidet aber die Situation vor Ort, ob die Gefahren beim Einfangen kalkulierbar sind oder eben nicht, wobei die Gefahr primär natürlich von der Höhe ausgeht, in der sich ein Volk abgesetzt hat. Je höher sich der Schwarm befindet desto aufwendiger und somit auch gefährlicher wird es. Für jede Situation gibt es das passende Werkzeug, womit das Gefahrenpotential deutlich verringert werden kann.

Bei Methode (A) wäre es mit Hilfe eines handelsüblichen grauen Steckrohres, an dessen oberen Ende eine Art „Trichteraufsatz“ und am unteren Ende ein Kissenbezug angebracht ist, möglich gewesen, die ganze Aktion vom Boden aus durchzuführen. Die Bienen wären bei dieser Methode von unten in den Trichter gestoßen worden und durch das Rohr in den Kissenbezug gerutscht. Da die Traube aber verteilt über mehrere Äste hängt, ist die Methode in der vorliegenden Situation als suboptimal zu bewerten, weshalb sie nicht zum Einsatz kommt. Zudem wäre die Wahrscheinlichkeit zu groß gewesen, die Königin nicht zu erwischen.
Methode (B), die heute zum Einsatz kommt, scheint die am nahst liegende Methode zu sein. Man steigt auf die Leiter und „schlägt“ den Schwarm in irgendein geeigneten Behälter wie beispielsweise eine leere Zarge. Eine Zarge ist der Holzkasten, indem ein Imker seine Bienen hält, wobei es vermutlich auch jeder andere Behälter getan hätte?! Das wichtigste Hilfswerkzeug beim Schwarmfang ist aber wohl die Leiter. Zum Einsatz kam allerdings keine 0815-Leiter sondern eine sogenannte Tiroler Steigtanne – eine Einholmleiter zum Besteigen von Bäumen. Die Spezialleiter mit dem seltsamen Sprossenaufbau verfügt über Bodenanker und eine sichelförmige Vorrichtung zum Anlehnen am Stamm. Neben Zarge und Leiter benötigt man außerdem eine Astschere, einen Wabenfeger sowie einen Wasserzerstäuber. Und last but not least darf die persönliche Schutzausrüstung (PSA) natürlich nicht fehlen. Sie besteht aus einem Schutzanzug und Handschuhen. Und damit keine Bienen in die weiten Hosenbeine fliegen kann, sollte man diese zur Sicherheit in die Socken stecken.
Strategisches Vorgehen – Schritt für Schritt zum neuen Bienenvolk
- Flugfähigkeit der Bienen durch Benetzen des Schwarms mit Wasser aus dem Zerstäuber herabsetzen. Durch das Wasser werden die Bienen schwerer und die Flügel sind nicht funktionsbereit, sodass sie nicht mehr so schnell auffliegen.
- Den Ast, an dem die Bienentraube hängt, so weit freischneiden, dass man möglichst viel freien Handlungsspielraum hat, um in der Höhe mit Zarge in der Hand einigermaßen sicher agieren zu können.
- Entweder man schneidet den kompletten Ast mit der Traube ab und reicht ihn nach unten oder man nimmt die Zarge mit nach oben, hält diese unter die Traube und schüttelt kraftvoll am Ast. Die Betonung liegt bei der Ausführung auf dem KRAFTVOLL, da ein zu zaghaftes Rütteln, die Bienen nur aufscheucht, diese aber nicht in der Zarge landen. Nachdem Einschlagen der Traube in die Zarge kann man nur noch hoffen, dass die Königin in der Zarge gelandet ist.
- Danach ist Warten angesagt bis sich die aufgeflogenen Bienen wieder abgesetzt haben, um dann einen erneuten Versuch zu starten. Im Fall, dass sich die Bienen in einem höheren Bereich des Baumes reformieren, sollte man im Idealfall eine längere Leiter im Kofferraum haben. Die Tiroler Steigtanne mit ihren Steckelementen scheint hierfür das ideale Werkzeug zu sei, da durch die Montage eines weiteren Elements unmittelbar auf die neue Situation reagiert werden kann.
- Nachdem der Schwarm „eingeschlagen“ des Schwarms wurde, wartet man zunächst darauf, dass die Bienen in und an der Zarge zu sterzeln beginnen und der Rest des Volkes dadurch in die Zarge gelotst wird. Beim Sterzeln heben die Bienen ihren Hinterleib, wodurch die Sterzeldrüse freigelegt und ein Pheromon (Geraniol) abgesondert wird, wobei die entstehende Duftspur den anderen Bienen als Wegweiser dient. Während des Wartens sollte die Zarge zum Schutz vor direkter Sonnenbestrahlung mit den abgeschnittenen Ästen beschattet werden.
- Um das Prozedere zu beschleunigen werden Trauben, die sich am Baum weiterhin formieren können, samt Ast vom Baum geschnitten und mit dem Wabenfeger in die Beute gefegt. Dass sich neue Trauben bilden, kann daran liegen, dass die Königin die Äste, auf denen sie zuvor saß, mit Pheromonen markiert hat, was die aufgeflogenen Arbeiterbienen wahrnehmen und dazu veranlasst, diese Orte aufzusuchen. Sie sammeln sich an diesen früheren Aufenthaltsorten der Königin so lange, bis sie einen Ort mit einer noch höheren Pheromon-Konzentration bemerken oder durch das Sterzeln der anderen Bienen angezeigt bekommen. Im Idealfall ist es die Zarge mit der Königin, falls sie denn nach dem Abschlagen auch wirklich hineingefallen ist.
Tagesfazit
Zum Glück hatte Martin, als er das Material geholt hat, ein paar Flaschen eiskaltes Fiege alkoholfrei eingepackt, was die Warterei in der Hitze kurzweiliger und erträglicher werden ließ. Beeindruckend war aber auch, dass ich und niemand der beiden Hauptakteure einen Stich abbekommen hat und dass obwohl ich komplett ohne Schutzkleidung war und teilweise unter einem Meter von der vollen Beute und den auffliegenden Bienen entfernt gewesen bin, um das ganze Spektakel mit Fotos zu dokumentieren. Wobei ich dazu sagen muss, dass sich mir zwischendurch dann doch mal ordentlich die Nackenhaare aufgestellt haben, als sich vier Bienen gleichzeitig auf meinem Shirt abgesetzt hatten. Aber alles in Allem eine interessante Beobachtung und in jedem Fall ein lohnendes Nachmittagsprogramm. Und eins steht auch fest – das Knowhow, um bei nächster Gelegenheit meinen ersten eigenen Schwarm einfangen zu können, das habe ich heute in jedem Fall erworben.

Danksagung
Mein bester Dank geht raus an Martin und seinen Kumpel, dafür dass ich dem Spektakel beiwohnen durfte und sie mit meinen gefühlt 1000 Fragen löchern konnte. Und natürlich auch an die abertausenden Bienen, dass sie mich nicht gestochen haben, was aber auch insgeheim zu erwarten war.
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