Neues aus der Sticker-Landschaft
Beobachtung aus der Landschaft vom 18.08.2021
Nach dem durchaus erheiternden satirischen Sticker vom Tierschutzbüro war der Sticker, der auf das Problem des Catcalling aufmerksam gemacht hatte, vor allem eins – informativ. Der Sticker, um den es in diesem Beitrag gehen wird, unterscheidet sich von den bisher entdeckten dadurch, dass es primär nicht um die Verbreitung einer Botschaft geht, sondern die Verbreitung einer zuvor geklebten braunen Parole unterbunden werden soll. Der Lauf durch die Landschaft von Erzbahntrasse und Hüller Bach führte mich dieses Mal unter Anderem entlang der Stadtgrenze zu Gelsenkirchen. An der Ostpreußenstraße auf Höhe der kleinen Straße Hinter-Brehmers-Hof wurde ich auf einen roten Aufkleber aufmerksam, der gleich an mehreren Laternen klebte und mir aufgrund seiner Signalfarbe regelrecht ins Auge sprang. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, dass es sich hierbei um das Überkleben von „NAZIPROPAGANDA“ handelte, wie es auf dem Aufkleber zu lesen ist.

Ziviler Ungehorsam – moralisch korrektes Handeln schützt nicht vor Strafe
Sofort fällt mir in dem Zusammenhang die „Sprayer Oma“ ein, die Deutschlandweit Berühmtheit erlangt hat, weil sie rassistische, faschistische und menschenverachtende Schmierereien übersprüht und sich aus diesem Grund wegen Sachbeschädigung regelmäßig vor dem Kadi verantworten muss. Weil sie aber aus Überzeugung handelt und sich keiner Schuld bewusst ist, lässt sie sich durch die rechtliche Repressionen nicht von ihren Säuberungsaktionen abhalten und macht unbeirrt weiter. Ähnlich selbstlos und moralisch-unbedenklich handeln die Überkleber auch, da das Kleben von Laternenmasten als Sachbeschädigung im öffentlichen Raum angesehen wird, unabhängig davon warum etwas überklebt wurde.
Kurzer Exkurs in die Welt der Sprühdose
Das Ping-Pong von „taggen“ und „covern“ – kennt man ja eigentlich aus der Graffiti-Szene. Gemeint ist, dass die eine Sprayer-Crew ihr Bild oder Namenskürzel irgendwo hin sprüht, eine gegnerische Crew das Bild der Vorkünstler übermalt und ihr Namenskürzel als Botschaft zurück lässt. Das Hin und Her wird in der Sprayer-Szene auch als „Battle“ bezeichnet, das Übermalen als „crossen“ oder eben „covern“. Das übergeordnete Ziel dieses Wettstreits ist es, an möglichst vielen und riskanten Stellen sein Namenskürzel getaggt zu haben. Besonders hoch angesehen ist das besprühen von Fahrzeugen der öffentlichen Verkehrsmittel, die in der Folge mit dem Tagg solange durch das Stadtgebiet fahren und für „Fame“ sorgen, bis sie wieder kostspielig entfernt wurden. Während einige aufwendig gemalten Gaffitis durchaus gefallen, stößt das Geschmiere irgendwelcher Kürzel bei unbeteiligten Betrachtern auf wenig Gegenliebe. Bei dieser Disziplin des Sprayer-Wettstreits geht es primär um Quantität, Qualität spielt eine eher untergeordnete Rolle – was zählt ist also Masse und nicht Klasse.

Sticker-War in Dortmund-Dorstfeld
Zurück zu den roten Aufklebern: Bisher waren mir Cover-Sticker dieser Art nur aus Dortmund-Dorstfeld bekannt. In dem berüchtigten Dortmunder Stadtteil hatte dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen engagierten Mitbürgern der Zivilgesellschaft und linken Aktivisten auf der einen Seite und Neonazis auf der anderen Seite regelmäßig und umfangreich stattgefunden. Bei diesen offiziellen Putzaktionen, bei denen zur Sicherheit aller Beteiligter auch immer mindestens eine Polizeistreife zugegen sein musste, wurden sämtliche Straßenzüge von den Stickern befreit. Inoffiziell waren aber auch Personen unterwegs, die „bewaffnet“ mit einem extrabreiten Edding oder einer Rasierklinge von Laternenmast zu Laternenmast durch die Straßen gezogen sind, um die braunen Botschaften entweder komplett zu entfernen oder diese zumindest unkenntlich zu machen, in manchen Fällen auch durch das Überkleben mit einem anderen Sticker.
In der heimatlichen Landschaft zwischen Erzbahntrasse und Hüller Bach war mir diese Cover-Taktik bis zur heutigen Entdeckung allerdings noch nicht aufgefallen. Um welchen gecoverten Sticker es sich letztendlich gehandelt hatte, konnte ich nicht herausfinden. Ich werde das Geschehen rundum den Sticker-War an der Stadtgrenze von Gelsenkirchen und Herne aber weiter im Auge behalten und gegebenenfalls zeitnah davon berichten.